Liebeserklärung an Deutschland: Was einem US-Amerikaner bei uns alles auffällt

Wir kaufen uns Fahrkarten, obwohl wir locker schwarzfahren könnten. Wir merken gar nicht, wie schön unsere Natur ist. Und unsere Innenstädte werden offenbar von einer Armee aus Kobolden saubergemacht. Ein Amerikaner über seine Erfahrungen in Deutschland.

Protokoll: Tim Sohr

Ein Amerikaner in Deutschland

 

Ein US-Amerikaner in Deutschland: "Bevor ich zum ersten Mal in Deutschland war, habe ich gedacht, das Wiener Schnitzel sei nur eine weitere Sorte Wurst"

 

Ich habe inzwischen über 30 Länder rund um die Welt besucht und kann deshalb mit Sicherheit sagen: zählt zu meinen absoluten Lieblingsländern. Es ist wunderschön und hat eine unglaubliche Vielfalt an atemberaubender Natur. Klar, es hat keine Wasserfälle wie in Island und ist auch nicht berühmt für Strände mit schneeweißem Sand – aber es ist so verdammt grün! Irland wird ja gerne die grüne Insel genannt – aber wenn das so ist, dann ist Deutschland das grüne Festland.

Ich habe in Deutschland viel Zeit in Zügen verbracht. Ich erinnere mich noch gut, wie ich die ganze Zeit aus dem Fenster geguckt habe und wie beeindruckt ich jedes Mal von der Landschaft war – vor allem in der Gegend rund um . Außerdem habe ich viel Zeit in den kleinen Dörfern und Städten entlang des Rheins verbracht. Die vielen Hügel und Burgen wirkten auf mich, als würde ich mich durch die Kulisse eines Märchenbuchs bewegen. Alles sah so urig und hübsch aus. In den kleinen Orten habe ich das beste Gefühl dafür bekommen, wie euer Land wirklich ist. Touristen sollten viel mehr Zeit in den No-Name-Gegenden verbringen. So fühlte sich zum Beispiel mein Besuch auf der Burg Eltz und drumherum wie eine sehr authentische deutsche Erfahrung an.

Meine andere Vorstellung vom "alten Europa"

In den Städten hat mich erstaunt, wie "neu" alles auf mich wirkte. Vor meinem ersten Besuch hatte ich irgendwie eine andere Vorstellung vom "alten ", aber dann war es viel moderner als zum Beispiel bei mir zuhause in New England. Der Gedanke, dass ein großer Teil vieler deutscher Städte – und damit so viel von der alten Schönheit – im Krieg einfach komplett zerstört wurde, hat mich ziemlich runtergezogen.

Ich weiß nicht, wie viele Menschen – zumindest in den – sich die zerstörerische Kraft des Krieges bewusst machen, aber ich habe mir ausgemalt, wie alle großen Städte, die ich in Deutschland besucht habe, vor 75 Jahren einfach komplett anders ausgesehen haben müssen. Es liegt einfach eine große Traurigkeit in der Tatsache, wie viel von der Geschichte verloren ging. Gleichzeitig ist es beeindruckend, wie hochentwickelt, wie sauber und wie schön die Städte heute sind. Es erzählt eine Menge über die Menschen und den Fortschritt, und wie wir die Dinge wieder aufbauen. Und wenn die Deutschen etwas können, dann ist es der Wiederaufbau.

Apropos "die Deutschen": Wir können es euch getrost überlassen, die am besten organisierten und am härtesten arbeitenden Menschen überhaupt zu sein – denn das Klischee entspricht der Wahrheit. Ihr habt alle diese Zielstrebigkeit, als wärt ihr auf einer Mission. Mir kam das bekannt vor, weil wir in meiner Heimat in New England eine ähnliche Mentalität haben: "Erledige das heute! Ausrufezeichen!" Anderswo heißt es gerne: "Das kann ich auch morgen machen …" oder "Warum sollte ich es überhaupt machen?"

Ich erinnere mich noch gut, wie ich in der Düsseldorfer Altstadt ein EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gesehen habe. An jeder Kneipe haben sie das Match draußen über Fernseher und Leinwände gezeigt. Die Stimmung war fantastisch, der Abend wurde lang und es wurde viel gefeiert. Irgendwann mitten in der Nacht stand ich auf der Straße, habe mich umgesehen und gedacht: "Hier ist wirklich alles im Arsch!" Überall zerbrochenes Glas, Müll, einfach Chaos. Und dann bin ich am nächsten Tag aufgewacht – und die ganze Stadt sah aus wie neu. Völlig verrückt! Ich dachte nur: Hat Deutschland etwa eine Putzarmee von fleißigen Kobolden, die einzig und allein dafür da ist, die Städte nach Fußballspielen wieder herzurichten? Ich war völlig begeistert!

Ihr befolgt die Regeln. Also alle Regeln.

Was den alltäglichen Umgang mit den Deutschen angeht, ist mir Folgendes aufgefallen:

1) Ihr seid immer total überrascht und gleichzeitig sehr hilfsbereit, wenn Ausländer sich an eurer Sprache versuchen. Na gut, meistens schaltet ihr dann selbst sofort auf Englisch um. Eine besonders nette Begegnung hatte ich auf einer Zugreise nach Aachen: Ich saß zufällig neben einer Uni-Professorin aus Dortmund und unterhielt mich nett mit ihr, als mich ein Schaffner darauf aufmerksam machte, dass ich fälschlicherweise in der 1. Klasse sitzen würde. Die Professorin versuchte vergeblich, ein gutes Wort für mich einzulegen – und hat sich dann einfach mit mir in die 2. Klasse gesetzt. Eine sehr coole Erfahrung mit einer sehr netten Person – aber dann wiederum waren so ziemlich alle Leute, die ich unterwegs angesprochen habe, sehr aufgeschlossen und freundlich. Vielleicht habe ich da einfach Glück gehabt.

2) Ihr befolgt die Regeln. Also alle Regeln. Ihr bleibt bei Rot an der Ampel stehen. Ihr setzt euch auf die für euch vorgesehenen Plätze. Ihr kauft euch auch dann noch eine Fahrkarte, wenn ihr locker schwarzfahren könntet. Das finde ich ziemlich lustig und vor allem anders als an den meisten Orten, die ich auf der Welt gesehen habe. Dort halten sie es eher mit Jack Sparrow und verstehen die Regeln eher als "Richtlinien" …

3) Ihr denkt immer, euer Englisch sei so schlecht – was albern ist, weil die meisten von euch es viel besser drauf haben, als ihr glaubt.

4) Ihr seid eher zurückhaltend und ein bisschen stiller – aber superfreundlich, wenn man euch anspricht. Das heißt auch: Ihr mischt euch lieber nicht in die Angelegenheiten anderer Leute ein, aber wenn, dann seid ihr voll am Start.

Ich habe über die Jahre viele Eindrücke von Deutschland sammeln dürfen – nur über das Essen kann ich nicht allzu viel sagen, weil ich auf Reisen selten in Restaurants esse. Ein paar Beobachtungen habe ich aber trotzdem gemacht: Bevor ich zum ersten Mal in Deutschland war, habe ich gedacht, das Wiener Schnitzel sei nur eine weitere Sorte Wurst. Wahrscheinlich bin ich ein Idiot, aber viele eurer Speisen haben Namen, die am Ende nicht dem entsprechen, was ich mir unter ihnen vorgestellt habe. LOL.

Touristen in Deutschland: "Guten Tag"? Niemals!

Der Döner in Deutschland ist nach meiner bescheidenen Meinung übrigens das beste street food aller Zeiten. Grundsätzlich gilt aber für Deutschland das Gleiche wie für die meisten Orte in unserer globalisierten Welt: Die Auswahl an Essen ist unabhängig von den jeweiligen Landestraditionen inzwischen überall sehr vielfältig und abwechslungsreich.

Zum Abschluss noch mein wichtigster Lieblingstipp, mit dem ich mich immer wie ein Insider fühle: Wenn du in Deutschland nicht als Tourist auffallen willst, dann sag auf keinen Fall "Guten Tag"! Die Ausländer hört man das ständig überall sagen, die Deutschen nie. Ihr sagt alle "Hi" oder "Hallo" oder was auch immer. Also wenn du wie ein Deutscher rüberkommen willst: Benutze verdammt nochmal keine traditionellen deutschen Grußfloskeln!

Tommy Whalen, 33, arbeitet als Lehrer in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island. Auch in diesem Jahr wird er in den Sommerferien wieder quer durch Europa reisen und dabei natürlich auch Halt in seinem Lieblingsland machen.

 

Source:  https://www.stern.de/neon/heimat/stadt-land/deutschland-aus-sicht-eines-amerikaners–was-mir-bei-euch-so-auffaellt-7977104.html

 

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