Leben in einem Land in dem Man nicht geboren ist und in dem man nicht aufgewachsen ist – Beispiel: Leben in Belgien

     Ich hätte in der Überschrift auch schreiben können 'leben im Ausland'. Damit hätte ich aber das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, als besonderes Land gekennzeichnet, – als Mittelpunkt der Welt. Und alle Länder des Landes wären als 'außerhalb' und 'anders' gekennzeichnet. Im Französischen, ist das Wort für Ausland 'étranger'. Das Adjektiv 'étrange' bedeutet so viel wie 'seltsam' oder 'fremd'.

   Für mich, sind Landesgrenzen künstlich und gefährlich. Sie sind oft auf Gewalt, Konfrontationen, Konflikte und Kriege zurück zu führen. Sie sind nicht natürlich. Zwar gibt es in der Natur – in der Tierwelt – auch Gebiete und Abgrenzungen, Gewalt und Auseinandersetzungen um Gebietsgrenzen herum, aber diese Revier-Grenzen an sich scheinen mir weniger 'künstlich'. Landesgrenzen haben aber auch gute Seiten.  Sie markieren klar einen Grenzpunkt – als Art 'Veränderungspunkt': Achtung, wenn Sie hier rüber gehen, ist vieles anders. Sie erlauben es Menschen, die Welt in Stücke zu schneiden um sich in diesen umzäunten Gebieten nicht verloren zu fühlen in der großen weiten Welt.

     Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, habe dort die ersten 28 Jahre meines Lebens gewohnt und lebe seit der Mitte der 1990er Jahren in Belgien. Zunächst in Brüssel, dann nach circa drei Jahren auf dem Land in einem kleinen Land in Südbelgien: In Wallonien. Belgien kannte ich sehr lange nur sehr oberflächlich, wenn überhaupt. Ich wusste, dass man da wahrscheinlich durchfahren wollte, wenn man in der südlichen Mitte Deutschlands wohnt und nach England mit dem Auto fahren will. Und wenn man da durchfuhr, wusste man nicht so richtig, wo man eigentlich war, denn wenn man beispielsweise die Strecke von Aachen über Lüttich und Brüssel an die belgische Nordsee nahm (um dort nach England mit der Fähre über zu setzen), dann las man da Straßenschilder und hörte lokale Radiosender auf der Autobahn zunächst auf Deutsch, dann auf Französisch, gefolgt von Niederländisch, dann wieder auf Französisch, dann wieder Niederländisch, und dann – um Brüssel herum zweisprachig Niederländisch/Französisch, und letztlich nordlich von Brüssel bis an die Nordsee wieder auf Niederländisch. 

     Nach nun fast 20 Jahren Leben in Belgien sind verschiedene Sprachen und Kulturen für mich recht selbstverständlich geworden, und es ist klar, dass ein 'künstliches' Land wie Belgien, dass aus drei verschiedenen Kulturen zusammen gesetzt ist – dem deutschsprachigen Osten, dem Flämischen Norden und dem Französischen Süden – versucht, das beste aus seiner Situation zu machen. Und das ist nicht leicht. Mittlerweilte fühle ich mich ein bisschen als Belgier und ein bisschen mehr zuhause hier, und das obwohl ich heute immer noch die meiste Zeit meines Lebens in Deutschland gewohnt habe.

      Ich bin nur noch sehr selten in Deutschland. Normalerweise einmal pro Jahr zwei bis drei Tage. Ich fühle mich nicht so richtig voll eingegliedert bzw. integriert in Belgien und mehr und mehr als Fremder in Deutschland. In Belgien ist es vor allem die Sprache, die mir zu schaffen macht, und die 'Kultur' (und alles was man da hinein interpretieren kann), in Deutschland ist es ähnlich, auch wenn Sprache und Kultur sich seit 20 Jahren nicht so sehr stark verändert haben – jedoch mehr als man glauben könnte!

     Und dann ist da mittlerweile das Internet, das die ganze Welt verbindet und zu einem globalen Dorf macht. Und trotzdem ist es wohl vor allem die Sprache, die uns oft recht begrenzt in unseren Ländern und Kulturen hält. Im Beispiel 'Belgien – Deutschland' ist dies sehr auffallend, vor allem zwischen den Französisch sprechenden Belgiern in Brüssel und Wallonien und Deutschland: Beide Kulturen und Länder sind Nachbarn aber kennen sich wirklich kaum. Beispiel Musik: Welcher Deutsche kennt einen Belgischen Künstler oder Musikgruppe? Stromae vielleicht? Welcher Belgier kennt von der Deutschen Musikszene mehr als Nena oder Trio? Belgier wissen in der Regel nicht, dass die 'Scorpions' eine Deutsche Rockgruppe ist.

     Ich hatte eigentlich nie geplant aus Deutschland weg zu ziehen, aber als sich die Gelegenheit beruflich ergab, habe ich nicht lange gezögert. Wusste auch nicht so richtig warum. Wahrscheinlich weil es einem erlaubt Neues zu entdecken, weil es einem ermöglicht 'irgendwie' neu anzufangen und 'Altes' hinter einem zu lassen. Und als ich umzog, war der Plan nicht für immer zu bleiben. Oder auch nicht für immer außerhalb Deutschlands wohnen zu bleiben. Und während der Arbeitsvertrag nicht befristet war, war es klar, dass bei meinem damaligen Arbeitgeber viele junge Arbeitnehmer für maximal fünf Jahre außerhalb Deutschlands lebten, um 'Auslandserfahrung' zu gewinnen – was für internationale Unternehmen sehr wertvoll ist. Egal auf welcher Seite der Grenze man dann 'danach' arbeitet…

     Und dann, nach einem Jahr oder so, als ich fast schon wieder dabei war, umzuziehen, nach Deutschland, habe ich mich in meine spätere / jetzige Frau verliebt. Und von da an war vieles anders. Sich in jemanden verlieben, der kein Wort deutsch spricht, zudem quasi kein Wort Englisch oder Niederländisch, ist beeindruckend. Außerdem wusste meine Frau damals überhaupt nichts über Deutschland, außer vielleicht, dass die Deutschen (mindestens) zwei Kriege verursacht hatten, Belgien eine ganze Weile besetzt hatten, heute viel Arbeiten und Qualitätsautos bauen. Und ich wusste fast nichts über Belgien. Zwar hatte ich angefangen, mich an das Leben in der Stadt Brüssel zu gewöhnen (weil es irgendwie so anders, so 'cool' und lässig war, – auch etwas 'exotisch für einen Deutschen' ), ging recht viel aus, aber alles blieb doch sehr oberflächlich. Brüssel ist eine recht internationale Stadt und nicht unbedingt sehr repräsentativ, was Belgien angeht, da sehr verschieden von anderen Belgischen Städten und Gemeinden. Und so tauchte ich dank meiner Frau und ihrer Familie tiefer ein in das 'wirkliche' belgische Leben, den belgischen Alltag, die belgische 'Kultur' (die eigentlich wegen der belgischen Geschichte aus vielen sehr verschiedenen Kulturen besteht) und ich entdeckte vieles Neues. Ich entdeckte viele sehr nette Belgier. Vor allem Südbelgier. Denn wie viele Südbelgischen Familien, so hatte auch die Familie meiner Frau nicht viel Kontakt mit Nord- oder Ostbelgiern. Ich verstand schon damals nicht so richtig, wie die zwei (oder eigentlich mit den deutschsprechenden Ostbelgiern 'drei) Regionen zusammen leben können: Mit ihren verschiedenen Sprachen und mit ihren sehr verschiedenen Kulturen und 'Mentalitäten'.

     Wir hatten bald Lust auf ein eigenes Haus, auf dem Lande. Und so kauften wir eines (Häuser waren damals in Belgien sehr viel günstiger als in Deutschland). Dann kam sehr schnell unsere erste Tochter auf die Welt. Vier Jahre später unsere zweite Tochter. Und so hatte ich – und habe immer noch – meine 'eigene' (süd-)belgische Familie. Und ich lernte wie man feiert, wie man ausgeht, wie an heiratet, tauft, Geburtstage feiert, beerdigt, seinen Freundeskreis aufbaut und erweitert, Sport betreibt, ins Schwimmbad geht, Urlaub macht, Geld mit einer Bank verwaltet, wie man lebt, wie man ein Haus und Familie managed und erweitert, wie man seinen Garten gestaltet, sein Auto zum TÜV bringt, und wie die Schule für Kinder funktioniert und vieles im täglichen Leben einer Familie bestimmt. Wie man Kinder erzieht (und verwöhnt! ;o) ), Schlittschuhe fährt, Wein trinkt (der hier in Belgien – so wie Bier auch – nicht zur Gattung der alkoholischen Getränke gezählt wird!), Haustiere kauft, erzieht, verwöhnt, pflegt und begräbt… Wie man Belgier wird und sich mit öffentlichen Verwaltungen – inklusive Polizei, Stadtverwaltung und Landesverwaltung – verhält. Dass man gesetzlich verpflichtet ist zu wählen (das ist ein seltsames Gefühl für viele Deutsche!). Wie man über alles zu verhandeln scheinen muss und tut, Steuerklärungen und Freibeträge ausfüllt, Hauskredite verhandelt und neu verhandelt, Straßenschilder interpretiert (und hier in Belgien braucht man da regelmäßig viel Vorstellungskraft und Flexibilität).

     Alles in allem sehr interessant. Nicht immer leicht, aber sehr gut, um seinen Horizont zu erweitern und Dinge zu entdecken und zu lernen, die man so nie für möglich gehalten hätte, oder für die einem die Vorstellungskraft fehlt! Eine echte Chance, etwas ganz anderes, beeindruckend, sehr intensiv und wirklich zu empfehlen!      

Juli 2014

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