Älter

Ich habe vor kurzem gelesen, dass die typische Glückskurve eines Menschen (in einem reichen Land?) einem ‚U‘ ähnelt. Und vielleicht liegt da im unteren mittleren Teil des ‚U’s der Altersbereich 40-50 Jahre. Wenn ich meine Eltern altern sehe – die von meiner Frau sind schon gestorben -, wenn ich sehe, dass auch ich nicht gegen Krankheit ‚immun‘ bin und regelmäßig krank bin, inklusive Probleme mit Cholesterin. Wenn ich sehe, dass alles immer schneller geht, immer mehr Info, immer mehr Technik, sich immer schneller entwickelnd, immer komplizierter erscheinend. Wenn ich sehe, wie meine Augen und Ohren nachlassen, mein Rücken fast täglich schmerzt, meine Ohren dauernd pfeifen, mein Haar dünner und grauer wird und ausfällt, meine Haut Flecken bekommt. Wenn ich anfange, die Sprache meiner Kinder nicht mehr gleich und/oder vollständig zu verstehen, dann fühle ich mich ‚älter‘.

Ich suche Stühle, mit angenehmer aufrechter und stabiler Rückenlehne. Eine Lehne, die den Rücken so schön unten stützt. Ich suche Ruhe und Erholung. Sehne mich nach Ausspannen. Ich gehe regelmäßig zu Spezialisten zu ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Ich investiere in Versicherungen. Ich finde mich auf Internetseiten nicht immer gleich zurecht. Muss mehr und mehr suchen. Ich habe es nicht immer leicht, komplexe Sachverhalte schnell zu begreifen. Ich bin regelmäßig müde und abgeschlafft. Ich finde es seltsam, dass ‚Kleinkinder‘ jetzt in der Sekundarschule zu sein scheinen und ‚Kinder‘ an der Uni und in der Firma. Da fallen mir die Zeilen ein, die Forscher wohl vor ein paar Jahren auf einer mehrerer tausend Jahre alten Tonscherbe entdeckt haben und die die Zweifel eines älteren Erwachsenen ausdrücken, was die Zukunft angeht: ‚Wenn ich mir vorstelle, dass unsere Kinder einmal unsere Welt regieren werden. Unvorstellbar‘.

Was auch immer das Älterwerden bringt, wie auch immer es aussehen mag, es ist meist anstrengend. Und während man noch ‚vor ein paar Tagen‘ ‚oben auf‘ war, alles verstand, alles konnte, den anderen sogar oft ein wenig voraus war – vor allem den Kindern und ‚den Alten‘, so kann sich das auf einmal sehr schnell ändern. Und auf einmal ist man selbst bedürftig, und braucht nachsehen, Nachhilfe, Hilfe, Unterstützung, Prothesen, Stützen, Unterhalt und Nachsicht von anderen. Auf einmal versteht man den Fahrer oder die Fahrerin, die so langsam vor einem im Auto fährt, ein wenig besser.

Noch nie ging es den Menschen im Durchschnitt und statistisch gesehen so gut wie heute. Während es in vielen Teilen der Welt noch immer Leid und Elend gibt, Armut und Hunger, Krieg und Gewalt, Krankheit und Durst, Ungerechtigkeit und Diskriminierung, Rassismus, Behinderung und Unglück, Benachteiligung, Ausgrenzung und Unterdrückung, gibt es so viele Super-Reiche wie noch nie. Nahezu ein Prozent der Bevölkerung besitzt fast 50% allen Reichtums. Noch nie hatten wir so viel Technik in so vielen Händen. Und wir haben heute nur sehr teilweise verstanden, für was dauer-vernetzte Smartphones und Tablets und Computer alles ‚gut‘ sind. Und die von uns, die das Glück hatten, in einem reichen lang geboren zu sein, und die gesund und einigermaßen intelligent sind, die nicht faul sind, können Geld machen.

Auf der Erde leben heute wohl ungefähr 7,5 Milliarden Menschen und in Belgien gehen wir nun seit kurzem offiziell mit 67 Jahren in Rente. Das heißt, im Durchschnitt sind wir als arbeitende Bevölkerung älter.

WD20150208

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